Sibylle Grosjean

über Dinge

Die Dinge stellen nichts dar. Sie sind das Überbleibsel einer Zeitspanne von Konzentration und Selbstvergessen-heit, koaguliert. Meine Dinge sind nicht verbal. Sie formulieren nichts, sie haben keinen Titel.

Ein Ding ist ein arbiträres und intimes Konstrukt. Es ist dann fertig, wenn ich damit fertig bin.

Darüber hinaus hat es keine Rechtfertigung, keinen Anspruch, keine Grundidee. Es beginnt seine Existenz als Folge meines Tuns und verdankt sie danach seiner – oft fragilen - Fortgesetztheit. Es fällt mir schwer, einen Diskurs über die Dinge zu führen. Weil es keine Bedeutung gibt, über die ich sprechen könnte – die Dinge sind zwecklos und frei von Funktion.

Es gibt keine Regeln, nach denen ein Ding konstruiert werden muss.  Es entsteht aus dem, was mir in die Finger kommt. In seiner Zusammensetzung spiegeln sich nur die Verfügbarkeit und meine Vorliebe für bestimmte Materialien und Verbindungen. Ob ein Bestandteil alt oder neu, gefunden, von mir gekauft oder mir geschenkt wurde, ist irrelevant.

Wichtig ist hingegen, dass ich das Bauteil nicht nur optisch sondern vor allem haptisch begehrenswert finde: Gewicht, Form und Deformiertheit, Oberflächenbeschaffenheit und
-struktur, Biegsamkeit und deren Mangel.

Ich habe kein Ganzes im Sinn, wenn ich beginne. Ich setze mich hin, betrachte, befingere die Teile und fange an, sie zueinander zu legen, sie zu verdrahten, in sie hinein zu bohren, sie zu verleimen, sie zu verkeilen. Dabei sind Nägel, Schrauben, Gummi, Draht, Klebstoff, Schnur und Klammern einmal Subjekt und dann wieder Objekt von Verbindungen. Ich habe das Bedürfnis nach Mutwilligkeit, nach Prekärem, Stabilität, Spannung und Poesie und versuche, diese Qualitäten aus den Komponenten hervorzubringen.

Wenn sie fertig sind, überraschen mich die Dinge. Sie erinnern mich vage. An etwas. Ich möchte sie im Nachhinein irgendwie dingfest machen, in sie eindringen. Vielleicht werde ich das eines Tages tun. Man könnte die exakten Bestandteile nach Artikel- und Herstellernummer, nach genauer Bezeichnung auflisten und eine Explosionszeichnung von ihnen anfertigen, um sie zu rekonstruieren.

Sie zu fotografieren, ist ein Anfang, ein Versuch, zu ergründen, wie es kommt, dass aus dem haptischen Prozess Etwas geworden ist. Und schliesslich sind die Fotos Ausdruck der Zuneigung, die ich zu meinen Dingen empfinde, wenn sie fertig sind.

Beim Fotografieren erhalten sie ihre Bezeichnung. Es handelt sich um den Dateinamen, welchen die Kamera von selbst vergibt – resp. im Fall von Scans, um den Code vom Fotolabor auf der Rückseite der Fotografie. Das scheint angemessen – die Bezeichnung  ist ebenso wie das Ding selbst ganz spezifisch. Und praktisch bedeutungslos.


Zürich, 8/2009, 11/2010, 6/2011